Lasset uns weglassen. Auf in die Fülle der Reduziertheit.

Im Grafikdesign haben das Andere, das Außergewöhnliche, das Besondere eine blühende Heimat gefunden. Der Weißraum hat nicht nur seine Berechtigung, er ist geradezu ein Gestaltungselement, mit dem wir unserem großen Thema Aufmerksamkeit einen beachtlichen Spielraum geben. Und jeder, der nur das geringste Gespür für Gestaltung mitbringt, erkennt in der Schlichtheit die Freiheit, das Besondere, das Überraschende. Wenn das Auge vom Suchen zum Finden umschalten kann, dann punktet die bewusste Reduktion hundertprozentig.

Auf der Suche nach der Einzigartigkeit in der Reduziertheit begeben wir uns heute auf eine Reise ins frühe 20. Jahrhundert. Der Jugendstil war – neudeutsch – voll angesagt. Der Mainstream hatte das Bunte, das Verschnörkelte für sich definiert. Florale Muster paarten sich mit Farbenpracht, Ornamentik und der Lust auf Freiheit. Anders denken und gestalten führte in neue Welten der Kreationen und in neue Ausprägungen, die durch verspielte, liebliche, florale Ornamente dem eigentlichen Thema den Rahmen boten.

Denken wir nur an eines der bekanntesten Werke des Jugendstils aus dem Jahre 1903:

Der Kuss von Gustav Klimt.

Lassen wir das Auge weiter streifen über seinen
Tree of Life,

die Art nouveau-Eingänge
der Metrostationen in Paris,

Otto Wagners U-Bahnstation
am Wiener Karlsplatz,

durch das
Café Ritter oder

über die angepriesenen Waren eines
Jugendstil Souvenirladens.

Es ist viel los auf dem Betrachteten – sehr flapsig ausgedrückt und keineswegs despektierlich gemeint.

Jeder Fülle wohnt auch Schlichtheit inne.

Aber weil Grafikdesign neben all der Formalismen und Glaubenssätze auch und vor allem eine lebendige Disziplin ist, wollen wir einmal genauer hinsehen. Frei nach der Frage: Gestalteten die Designer damals nicht auch reduzierter als wir heute denken?

Eine rhetorische Frage wohlgemerkt. Deshalb auf in die Praxis. Schauen wir hinein in die Kreationen, blicken wir durch die Klischees mit der nötigen Portion Neugier und dem ausgeprägten Wunsch nach Entdeckungen.

Sezieren wir ein Plakat aus dem Jahre 1902 von Koloman Moser.
Arbeiten wir mit Schwarz und Weiß die Grundelemente heraus.
Setzen wir dieses Element in einen Weißraum und lassen es einfach einmal wirken. Es entsteht eine neue Nichtverspieltheit, Nichtlieblichkeit, eine Konzentration auf das Wesentliche. Und durch das hohe Maß an Reduktion folgt eine neue Aufmerksamkeit.

Reduktion ist nicht nur Subtraktion, sondern eben auch die Addition des Wesentlichen.

Drehen wir nun das Rad der Designgeschichte weiter und schlagen die Brücke von der Formenwelt des Koloman Moser aus dem Jahr 1902 in die Jetztzeit. Reduzieren wir weiter, geben wir den Linien und Flächen noch exaktere Geradlinigkeit und schon nähern wir uns dem, was heute unseren Alltag bestimmt: den Piktogrammen.

Umgelegt auf die Flyergestaltung, zeigen sich Kreationen, die aus den 60ern und 70ern stammen könnten. Wer denkt hier nicht an Beatles, Flower Power oder Love & Peace.

Entdecken ist eine Frage des Wollens.

Der Blick durch die Klischees, das Erkennen der Grundideen und die Definition der Formensprache – sie alle zeigen, dass sich auch hinter jeder noch so großen Opulenz eine Leichtigkeit verbirgt. Es steckt mehr Geradlinigkeit hinter dem Verschnörkelten, als man glauben mag. Das sind keine Formeln oder Muss-Bestimmungen, es sind lediglich Erkenntnisse, die bei der Suche nach Aufmerksamkeit wie ein feiner Kompass wirken.

So erreichen wir eine grundsätzliche Klarheit, schalten Ablenkungen durch Brimborium aus und erkennen, dass nur die Essenz der wahre „Geschmacksträger“ ist.

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